Der alleinerziehende Papa Tang war in letzter Zeit ziemlich still – jedenfalls als Blogger und Autor. Aber natürlich nicht zu Hause und auch nicht in der Öffentlichkeit. Es hat sich in den letzten Jahren für mich nur die Bühne verändert, auf der ich meiner Lebensfreude Ausdruck verleihen kann. Die Computer-Tastatur hat sich einfach wieder in eine Klavier-Tastatur verwandelt – aus getippten Worten wurden gesungene Worte, Geistesblitze wurden in Musik verwandelt und die Literaturbühne wurde plötzlich wieder zum Konzertsaal. Für mich so was wie »back to the roots«.
Aber selbstverständlich ging und geht das Abenteuer: Zusammenleben mit zwei heranwachsenden jungen Männern – inzwischen 13 und 8 Jahre alt – munter weiter und hat allen Akteuren spannende Erfahrungen beschert. Ich bin über meine Kinder, diese selbständigen und freiheitsliebenden Begleiter mehr als glücklich, und bisher konnte ich meinem Leitspruch »sei konsequent flexibel« auch die meiste Zeit folgen. Die Früchte dieser Entfaltungsfreiräume für uns alle dürfen wir täglich ernten und genießen.
Aber es gibt auch Ausrutscher und von einem diese wiederkehrenden Konfliktthemen möchte ich heute berichten: Zähneputzen.
Bitte wundere dich nicht, wenn diese Geschichte mitten im kalten Februar von Sommerhitze und Ferien erzählt. Da hatte ich sie auch aufgeschrieben, doch vor lauter Action finde ich erst jetzt – fast ein Jahr später – die Zeit, das endlich im Blog zu veröffentlichen – sorry!
Zahngesundheit
Im Grunde hatte ich dazu immer eine sehr einfache Haltung: Mach den Kindern klar, was Industriezucker, Fructosesirup und denaturierte Nahrungsmittel anrichten, gib ihnen von Anfang an vollwertiges leckeres Essen – Obst, Rohkost etc. – dann entwickeln sie neben einem gesunden Geist auch gesunde Körper.
Durch die gründliche Recherche über Zahngesundheit sind mir im Laufe der Zeit so einige Zweifel an den schulmedizinischen Auffassungen gekommen.
Ich erinnere mich noch gut an den Bericht von den kariesfreien Kinder der armen Zuckerrohrbauern in Südamerika, die als Süßigkeit die Zuckerrohrstengel auf den Plantagen kauen und lutschen und keine Zahnhygiene betreiben wie wir. Oder wie ich vor einiger Zeit Rays entzündeten Backenzahn mit Beinwell und Manukahonig behandelt habe.
Zähneputz-Verweigerer
Dennoch hat mich gerade vorgestern zum zweiten Mal der totale Rappel gepackt – und das wegen Rays gelegentlicher Zähneputz-Verweigerung. Dabei gehört die lustige Zahnteufelgeschichte von »Hackie und Dickie« seit frühesten Kindertagen zu seinen Lieblingsbüchern, die er immer mal wieder hören möchte.
Es ist der Hammer, wie mich dieser kleine Kerl gerade mit der Zähneputzerei echt aus dem Häuschen bringen kann.
Beim ersten Mal – ist schon ein paar Jahre her – hab ich vor Wut und Ärger die elektrischen Zahnbürste in hohem Bogen auf den Boden geschleudert – und am nächsten Tag die Einzelteile 2 Stunden lang mühevoll wieder zu einem funktionierenden Ganzen zusammengeklebt. Mein Gott, bin ich da schön ausgerastet.
Die Wiederholung des Sündenfalls
Und vor ein paar Tagen – die Wiederholung des Sündenfalls! Noch vorher lecker Eiscreme von Haagen-Daz – und dann – nachdem ich und sein älterer Bruder brav die Hauerchen gereinigt hatten, hüpft der Kerl bei der Hitze munter nackend im Bett herum, ärgert seinen Bruder und macht auch nach wiederholten Aufrufen durch Polizei und Feuerwehr nicht die geringsten Anstalten eine der drei Bürstgeräte, die vor ihm zur Auswahl liegen, zu ergreifen, geschweige denn zu benutzen.
»Du musst da echt mal konsequent sein, Tang, bei seiner Mutter macht er das nicht, da kriegt er voll Ärger!«,
höre ich dann noch aus Bruders Munde. Ich spüre, wie die Wut in mir hochsteigt und mir die Androhungen von Haftstrafen ohne Bewährung herausrutschen in Form von Medienentzug für die ganzen Sommerferien. Das scheint den jungen Mann zwar zu erreichen, aber der kleine Widder wir dadurch wohl eher zu weiterer Bockigkeit angestachelt.
Ich bin echt aufgeregt und erinnere mich nur mühsam all meiner schlauen Erkenntnisse. Nur langsam – sehr langsam – durchdringen sie das Dickicht aus Ärger und Ratlosigkeit. »Schei…, Schei …, Schei …!«, rufe ich durchs Schlafzimmer. »Ich will das nicht! Ich hasse diese Droherei, diese doofen Bedingungen: »Wenn du nicht – dann aber!«
Mein Gott, was haben den iPhone & Co. als Konsequenz mit dem Zähneputzen zu tun?
Mensch, Ray, die Konsequenz von Nicht-Zähneputzen nach Süßigkeitenkonsum sind möglicherweise Löcher in den Zähnen. Das sind jetzt deinen bleibenden Zähne und für die bist selbst verantwortlich. Du bist mit 8 Jahren kein Baby mehr. Dein Bruder hat das spätestens in deinem Alter geschnallt. Wie ist das mit Dir? Ich ziehe alle angedrohten Konsequenzen voll zurück. Mach einfach was Du willst, und wenn du Karies hast, fahr ich dich eben zum Zahnarzt. So Leute, jetzt gehts’s mir schon besser und jetzt will ich schlafen!«
Wunder gibt es immer wieder
Plötzlich höre ich im Halbdunkeln aus einer Ecke des Bettes Zahnputzgeräusche. Oh, welch wundersame Wendung in diesem vermeintlichen Drama!
Da haben wir gerade noch mal die Kurve gekriegt und dieser kleine Bengel hat mich doch wieder mal voll auf die Probe gestellt.
Un der alte Song von Katja Ebstein »Wunder gibt es immer wieder« schießt mir gerade durch den Kopf. Aber wer kennt diese alte Schmonzette wohl noch?
Pressure und Release
Trotzdem musste ich nach dieser Sache mal wieder über das Phänomen Pressure und Release nachdenken. Woanders putzt der Racker quasi unter Druck bzw. der Angst vor Ärger seine Zähne.
Bei mir existiert dieser Zwang nicht – also erfolgt darauf sozusagen der Befreiungsschlag in Form der Verweigerung, deren Ursache eigentlich an ganz anderer Stelle ihren Ursprung hat.
Diese Reaktion ist mir nicht unbekannt. Bei einigen meiner Klavierschüler habe ich das immer dann erlebt, wenn sie Klavierspielen nicht als Spiel, sondern als eine Art Verpflichtung aufgefasst haben. Da ist ja auch ein Lehrer, so wie in der Schule. Nur bei dem gibt’s keinen Ärger oder Druck, wenn man nicht geübt hat. Das ist ein gewichtiger Grund, warum ich immer Klavier spielen und nicht üben sage. Aber das dringt eben nicht bei jedem durch, und dort wo schulische Leistung im klassischen Sinne hochgehalten wird, suppt diese Einstellung eben auch in andere Bereiche, wo das Spielen im Grunde das wichtigste Element ist. Wer will schon einen guten Klavierüber auf der Bühne sehen – wir wollen Pianisten sehen, die uns mit ihrer Kunst spielerisch und virtuos verzaubern.
Strenger Lehrer – schlimme Folgen
Gerade in der Schule habe ich das sowohl am eigenen Leib, als auch bei meinen Kids erlebt. Ein strenger Lehrer, der im Grunde die Eigenverantwortung, die die Kinder mit Vergnügen übernehmen würden, durch seinen subtilen oder auch offenen Druck erstickt, verbaut den Schülern förmlich die Zukunft. Sie können bei ihm nur sehr schwer selbstmotiviertes, selbständiges Lernen lernen. Kommt dann als Nachfolger ein kooperativer und weniger autoritärer Lehrer in die Klasse, sind die Schüler oft kaum zu bändigen. Ja, dieser Ausdruck aus dem Zirkus oder Zoo – der Löwenbändiger, der den Tieren zur Zähmung Bandagen anlegt – passt hier durchaus.
Die natürliche Reaktion der Schüler auf jahrelange Bändigung und subtile Käfighaltung ist Ausbruch und Freiheitssuche.
Da die neue, gerade gewährte Freiheit sehr oft leider völlig wild und ohne Zurückhaltung missbraucht wird, sind im Unterricht oft alle sanften Methoden fürs Erste völlig unbrauchbar, da niemand diese feineren Kommunikationsformen bis dahin kennengelernt und geübt hat. Daran sind schon viele junge motivierte Lehrer gescheitert. Das Erbe von Zucht und Ordnung strahlt so auch in kommende Generationen, wo viel besser Freiheit und Raum für Entfaltung angesagt wären.
Und die Moral von der Geschicht – bändige deine Kinder nicht!
Zeige ihnen stattdessen, welchen Weg du selbst gehst und gib ihnen die Freiheit, ihren eigenen zu finden. Sei kein Spielverderber oder Spaßbremser an Stellen, wo es unnötig ist und nimm dich nicht zu ernst. So wirst du geliebt und nicht gefürchtet. Nimm ihnen nicht jede Verantwortung ab, auch wenn es für sie dadurch manchmal unbequem ist. So wie du sie respektierst, werden sie dich achten. Aber all das beginnt schon im frühesten Kindesalter. Spätere Wechsel des Erziehungsstils sind, wie das Beispiel Schule zeigt, oft problematisch und bedürfen viel Einfühlsamkeit.
Foto: Zähnchen 02 © Rupert Illek | pixelio.de
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Da fällt mir noch ein: … die ganze Geschichte ist ja nun fast ein Jahr her … witzig ist, dass seit diesem Vorfall und meiner »Übergabe der vollen Zähne-Verantwortung« an den jungen Mann – in Kürze 9 Jahre alt – fast nie mehr ein Tag ohne Putzi-Putzi verstrichen ist. Vielleicht wollte er damals seinen Dad nur in Gelassenheit trainieren. Ist ihm wohl gelungen 😉
Hallo Tang,
tja da lacht und weint das Vaterherz. Unsere zwei Töchter 9 und 6, ja was soll ich sagen – wie die eineiigen Zwillinge zu deinen Jungs. Alles NUR Theater ???????????
Flexibel konsequent ist ein passendes Wort, was mir nicht immer leicht fällt!
Franz aus Wien – denke oft an die Wurzeralm ? ?
@ Franz – Ja mein Lieber, die Moutain-Magic-Seminare auf der Wurzer waren zur der Zeit – ich glaube du warst 2000 mit dabei – was ganz Besonderes. Alle, die dabei waren, haben da wohl ein ganz persönliches Geschenk mit nach Hause genommen, das bis heute in uns allen weitergewirkt hat.
Noch eine kleine Anmerkung, die vielleicht ganz hilfreich sein kann: »flexibel konsequent« – so wie du es geschrieben hast, ist tatsächlich die schwierigere Variante, da hier die Konsequenz im Vordergrund steht. Die aber bringt uns schnell zu einem verkrampften Fahrstil im täglichen Wildwasser, wo wir dann ziemlich viel tun müssen, um in eine bestimmte Richtung zu steuern mit unserem Boot. Da muss man bei Strömungsänderungen doch sehr oft verzweifelt herumrudern. Sehr anstrengend – finde ich.
Mein Wahlspruch – der quasi unsichtbar bei mir auf die Stirn tätowiert ist – lautet aber »Sei konsequent flexibel!« Hier liegt die Betonung auf »flexibel«. Und diese Flexibilität oder Beweglichkeit, die ich konsequent lebe, gibt mir die Freiheit zurück, auch in verfahrenen Situationen sogleich die Richtung zu wechseln. Dieses Boot kann sich daher niemals festfahren. Ein kleiner aber feiner Unterschied, finde ich. Mein Vorschlag: Probier die 2. Variante und es rudert sich entschieden leichter. Die Kinder werden dir danken und du brauchst nicht so schnell nen Herzschrittmacher 😉
Email-Kommentar von Alexandra J. – Veröffentlichung genehmigt:
Hi Tang,
ich habe kräftig gelacht, vielen herzlichen Dank für Deinen Blog. Genau die gleiche Story hätte von uns sein können. Dasselbe hatten wir mit Louis. Er putzt jetzt jeden Morgen auf Andreas Bourani „ein Hoch auf uns …“ 3,5 Minuten voller Elan. Das war mal ein Fortschritt! Das ist bei uns vor ca. 10 Tagen passiert und basierte auf meiner Idee. Jetzt putzt er noch lieber, grins 🙂
Grüße ALexandra