Mit Meditation kenne ich mich nicht aus …
»Mit Meditation kenne ich mich nicht aus – hab ich noch nie probiert. Ich glaube, ich mag nicht so lange still rumsitzen – da spiel ich lieber Klavier.«
… so ähnlich habe ich vor vielen Jahren mal einer Freundin geantwortet, die wissen wollte, was ich von Meditation halte, und die damals ganz begeistert war von allem Fernöstlichen und Spirituellen. Ihre Antwort war kurz und knapp: »Aber Tang, dann meditierst du doch schon!«
Meditation
Im Internet-Lexikon Wikipedia findet man Folgendes: Meditation: lat. meditatio = „das Nachdenken über“; auch in der Bedeutung „zur Mitte ausrichten“ von lat. medius = „die Mitte“. Durch Achtsamkeits- oder Konzentrationsübungen soll sich der Geist beruhigen und sammeln. Ziel sind Stille oder innere Leere, ein Zustand frei von Gedanken, oft verbunden mit einem Gefühl von Eins-Sein. Ziel vieler spiritueller Richtungen ist die Erleuchtung.
Dünnhäutiges Sensibelchen
Da ich beim Klavierspielen und Singen niemals nachdenke, hat sich für mich zumindest die zweite Wortbedeutung – zur Mitte ausrichten, oder in seiner Mitte sein – als eigene wohltuende Erfahrung etabliert. Mehr oder weniger in die Wiege gelegt, hatte ich wohl auf meinem künstlerischen Weg diese Welt kennengelernt – allerdings ganz unbewusst. Sobald ich aus meiner geschützten Umgebung im Musikzimmer in die Alltagswelt hinaustrat, war ich wieder das Sensibelchen mit der dünnen Haut, das mit seiner großen Klappe und all dem gesammelten Wissen seine Unsicherheit überspielen musste.
Aus heutiger Sicht ist für mich das Besondere an diesem kreativ-künstlerischen Zugang zu meiner Mitte, zu meiner Quelle, zu meinem Potential – die spielerische Leichtigkeit. Ich habe niemals Klavier geübt, sondern immer Klavier gespielt. Ich könnte vielleicht maximal 1-2 Stunden üben, aber mit Freude viele Stunden spielen. Daher fühle ich mich auch mit Kindern so verbunden, die das ganz genauso erleben. Alles, was im Spiel erfahren und gelernt wird, geschieht mit Leichtigkeit und bleibt in angenehmer Erinnerung.
Kontakt mit der Innenwelt
Die Zugänge zu meditativen Erfahrungen und Zuständen sind vielfältig. Nicht selten geschieht es völlig spontan und unerwartet, dass Menschen mit ihrem tiefsten Inneren in Kontakt kommen oder auch durch besondere Ereignisse auf sich selbst zurückgeworfen werden und eine temporäre, in einigen Fällen auch dauerhafte, Bewusstseinsveränderung erfahren. Manche sind dadurch verwirrt und geraten in Panik, andere sprechen von Augenblicken tief empfundenen Glücks, die sie gerne wieder erfahren möchten. Hierbei können Meditationstechniken durchaus behilflich sein.Wir sollten jedoch diese Hilfsmittel nicht mit der eigentlichen Meditation verwechseln. Mit meinem ganz persönlichen Hintergrund würde ich natürlich jedem, der nach der für ihn geeigneten Meditationstechnik sucht, immer einen einfachen, spielerischen Weg empfehlen. Vielleicht auch deshalb, weil ich selbst lange Zeit beinahe eine Sucht entwickelt hatte, schwierige und steinige Pfade zu wählen, die mich sehr wohl weiter, aber nicht wirklich nach Hause geführt haben. Zum Glück gab es da aber immer die Musik für mich. Es war mir jedoch lange Zeit unmöglich, diesen einfachen Weg zu erkennen. Ich war auf diesem Auge völlig blind, da ich ständig auf der Suche war nach etwas, was ich schon längst hatte – aber mir fehlte Bewusstheit!
Heilsamer Zusammenbruch
Es bedurfte in meinem Fall eines Zusammenbruchs all dessen, was mir im Außen wichtig war – Beziehung, geschäftlicher Erfolg etc. –, um völlig auf mich selbst zurückzufallen. Ich stand wieder an der Weggabelung und entschied mich diesmal für den kreativen Weg, der so gar nichts Zukünftiges versprach, sondern »nur« den Augenblick feierte. Nachdem ich endlich für mich diesen einfachen Pfad erkannte hatte, wollte ich ihn zu gern zu einer breiten Straße ausbauen, die das gesamte alltägliche Leben mit einbeziehen würde. Ich wollte dazu wissen, was es ist, das Künstler, Kinder, Yogis und Zen-Mönche miteinander verbindet. Was haben alle Menschen, die ständig oder wenigstens zuweilen in ihrer Mitte sind, gemeinsam? Die Selbstbetrachtung und das Beobachten der Kinder brachten mich auf die Spur: Es ist die Abwesenheit von Zeit! Für jemanden, der in seiner Mitte ist – ob ruhig und gelassen oder quietschvergnügt und aktiv – spielt Zeit keine Rolle! – Welch einfache und zugleich schwierige Erkenntnis für einen erwachsenen Menschen. Aber ist nicht unsere gesamte moderne westliche Zivilisation auf Zeit angewiesen? Was wären wir ohne Vergangenheit und Zukunft? – Wir wären wieder wie Kinder! Klingt das nach Sackgasse oder nach Ausweg?
Werdet wie die Kinder …
Im Matthäusevangelium steht zu lesen: »Da rief Jesus ein Kind herbei, stellte es in ihre Mitte und sagte: Amen, das sage ich euch:Wenn ihr nicht umkehrt und wie die Kinder werdet, könnt ihr nicht in das Himmelreich kommen.Wer so klein sein kann wie dieses Kind, der ist im Himmelreich der Größte. Und wer ein solches Kind um meinetwillen aufnimmt, der nimmt mich auf (Mt 18,1-5).« Diesem Satz zufolge wäre eine Rückbesinnung auf das, was Kindsein wirklich ausmacht wohl eher Ausweg als Sackgasse. Die gute Nachricht ist: Wir können das niemals verlieren, aber sehr wohl vergessen. Er-Innern wir uns!
Das Verrückte, das Unbegreifliche, dass ich feststellen musste, ist: Es gibt keinen Weg dorthin, keine Straße, die man bauen könnte, keinen Schritt, den man gehen könnte! Denn die Distanz zu unserer Mitte, zu unserer göttlichen Quelle ist gleich null! Dies kann niemals verstanden, aber sehr wohl erfahren werden. Und für diese wunderbare Erfahrung sind wir seit unserer Geburt perfekt ausgestattet. Wir haben dafür unsere Sinne: Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Tasten. Sie sind nicht nur der Kontakt zu unserer Umgebung, sondern auch unserer Tore zu unserem inneren Zentrum – sie ermöglichen uns Meditation in jedem Augenblick.
Pizza-Meditation
Aber wie soll das praktisch vor sich gehen? Dazu ein Beispiel: Vor meiner Nase steht gerade eine leckere Pizza – Pizza Frutti di Mare mit den Früchten des Meeres. Meine Nase riecht den Duft von ofenfrischem Pizzateig vermischt mit dem Geruch der Zutaten und würzigen geschmolzenen Käse. Speichel schießt in die Mundhöhle. Dann beiße ich ab – oben weich und von unten knusprig. Beim Kauen spüre ich die Konsistenz des Teiges und die Zunge schmeckt die einzelnen Geschmäcker, die sich mit jeder Kaubewegung mehr und mehr zu immer neuen Kombinationen vermischen, bevor ich den Bissen runterschlucke. Diese Beschreibung des Essvorgangs und seiner Sinneseindrücke trifft wohl mehr oder weniger auf uns alle zu. Der entscheidende Unterschied, ob dieses Mahl für uns Meditation sein kann oder nicht, besteht in unserer Gegenwärtigkeit. Gelingt es uns, uns mit Hingabe diesem Schmaus zu widmen, dann werden wir vielleicht sogar hier und da die Augen bei einem Bissen schließen und das Geschmacks- und Sinneserlebnis in vollen Zügen genießen können. Wir erleben uns dann ganz unspektakulär im Hier und Jetzt und unsere Sinnlichkeit zusammen mit unserem Körper haben uns geradewegs dorthin geführt.
Und das ist das Wunderbare: Wir haben keinen direkten Sinn für Zeit – all unsere Sinne vermitteln ihre Signale immer nur jetzt! Lediglich unser Verstand gaukelt uns vor, er könne eine Pizza schmecken, in dem er über die Zutaten, ihr Aussehen oder den knusprigen Teig redet. Alles, was dabei objektiv geschehen kann, ist ein Bild, das im Kopf entsteht, und dass einem vielleicht das Wasser im Mund zusammenläuft. Der Geschmack von Speichel aber ist nicht der einer Pizza! Dennoch führen wir mirVorliebe Tischgespräche, die während des Essens von vergangenen Restaurantbesuchen erzählen, oder davon, dass die »Pizza Quattro Stagioni« bei Luigi, zu dem wir nächste Woche eingeladen sind, noch etwas knuspriger ist. Ja, und damit hat sich sozusagen jemand an unseren Tisch gesetzt und beim Essen eingemischt, der von Sinnlichkeit keine Ahnung hat, aber schon viel darüber gehört und gelesen hat und daher ständig munter drauflos plappert – unser Verstand oder der »verrückte Onkel«, wie ich ihn gerne nenne.
Dass diese pausenlose Beschäftigung mit Dingen, die mit unserem momentanen Erleben nicht das Geringste zu tun haben, einen meditativen Zustand geradewegs verhindern, muss ich sicher nicht weiter ausführen. Es geht auch nicht darum, die Uhr abzuschaffen, denn das praktische Festlegen einer Verabredung beispielsweise zu einem gegebenen Termin ist völlig sinnvoll in unserer Welt. Aber dass wir uns Tage zuvor ständig mit dem möglichen Ablauf dieser ach so wichtigen Begegnung beschäftigen und dabei alles, was im Augenblick vor unserer Nase brennt, vernachlässigen und gar nicht mehr wahrnehmen können – das grenzt schon an einen krankhaften Zustand. Ein Zustand, unter dem leider ein Großteil der Menschheit mehr oder weniger leidet.
Sinnlichkeit als Weg ins Jetzt
Das Schärfen unserer Sinne ist für mich eine schöne Übung, die uns wieder zu einem natürlichen Seinszustand und einem gesunden Verhältnis zu unserem Körper führen kann. Wenn wir das Erleben im Augenblick so intensiv wie möglich gestalten, indem wir uns mit voller Hingabe dem widmen, was unsere Sinne uns gerade schenken – und damit meine ich nicht nur angenehme Eindrücke –, dann reißt der Strom der Gedanken sehr oft ab oder er verebbt zu einem Rinnsal, dass bedeutungslos neben uns herplätschert. Hier ein paar Übungen zum einfachen Sinneschärfen im Alltag:
1. Beim Essen – Klappe halten, lange kauen und vielleicht mal die Augen schließen. Das geht am Besten mit Freunden, die das ebenfalls mal ausprobieren wollen. Die geschärften Sinne sind dabei vor allem: Riechen, Schmecken, Hören und Fühlen.
2. Beim Liebemachen – alles unter Punkt 1. – das war natürlich Spaß und ist trotzdem gar nicht so abwegig. In der Liebe den Verstand zu verlieren, kann ich persönlich nur empfehlen und das geht am Besten, wenn man alles, was sich unseren Sinnen bietet, mit vollen Zügen hingebungsvoll genießt. Die geschärften Sinne: Alle! Das Sehen spielt aber eine viel geringere Rolle als sonst.
3. Bei Sport und Spiel – mal ohne Gewinnen spielen und die Geschwindigkeit der Abläufe so beschleunigen, dass man nicht mehr denken kann. Das kann zu viel Ausgelassenheit und Spaß führen. Auch das gezielte Ausblenden eines oder mehrerer Sinne durch Augenverbinden oder Ohrstöpsel oder andere Maßnahmen führt zu interessanten Erlebnissen.
4. Bei allen alltägliche Verrichtungen – das Naheliegende tun, dabei bleiben und sich darin so gut es geht vertiefen – ob Saubermachen, Spülen, Duschen, Büroarbeit, Garten, Autofahren, Kinderbetreuung, Einkäufe, Kochen oder Zähneputzen.
All diese Übungen haben eines gemeinsam: Sie nutzten unsere natürlichen, angeborenen Fähigkeiten und reduzieren unser Denken auf das Nötigste und auf praktische Überlegungen. All das, ohne Zwang und besonderen Ehrgeiz. Wir kommen dabei mit uns selbst in Kontakt und erfahren keine unnötigen Reibungsverluste mehr durch die selbstgestrickten Kämpfchen und Probleme, die uns unser Ego ständig auftischt. Es ist vielmehr so, dass diese hinter der Gegenwärtigkeit förmlich verblassen und allmählich unwichtig werden.
Klingt das zu einfach? Es ist so einfach! Ja, wir könnten darüber noch stundenlang reden, alles von den verschiedensten Seiten beleuchten – aber wir können auch sofort damit beginnen, denn der nächste passende Moment ist bereits da – Jetzt!
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Nachlese
Falls Du noch nicht drauf gestoßen bist, dann möchte ich Dir noch zwei weitere Beiträge zum Thema Meditation empfehlen: Von meinem kleinen Freund Puppetji gibt es einen köstlichen Videoclip über Meditation, den Du hier bei Tangsworld oder YouTube anschauen kannst. Des weiteren habe ich im Artikel Mediation und Dackelschwanz die Perspektive von H.W.L Poonja auf dieses Thema erläutert, der aus non-dualistischer Sicht den Verstand als Verursacher all unserer Probleme völlig in Frage stellt und damit einen radikal einfachen und direkten Weg zu einem erleuchteten Bewusstsein und echter Freiheit eröffnet.
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Meinem Freund Wolfgang Maiworm, dem Herausgeber der »Lebens|t|räume«, möchte ich für das Überlassen des Original-PDF von »Meditation im Alltag – Alltag als Meditation« herzlich danken. Es ist nachfolgend zum Download beigefügt.
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Meditation im Alltag – Alltag als Meditation – Lebens|t|räume 09-2007
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Fotos: Dish Brushes © Jens Cramer – blog.jmc.bz | flickr.com
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Stern und Nr.4 – Energetische Kunst © Jörg H. Richter | joerg-h-richter.de