Es ist schon ein Weilchen her, seit ich zum letzten Mal im Blog über das Leben mit meinen Söhnen Joy (9) und Ray (4) geschrieben habe. Inzwischen ist Puppetji in mein Leben geflutscht und der knuffige Kerl macht mir echt Freude. Aber während all dem geht mein Alltag mit den Kindern natürlich weiter, und gerade dann, wenn alle gleichzeitig was von mir wollen und sich mal wieder Ereignisse verdichten, bekomme ich Gelegenheit, meine Erkenntnisse und Weisheiten, die ich so von mir gebe, gründlich zu testen und zu überprüfen.
»Dingdong!« … Huch, wer ist den da an der Haustür? Ich will doch gerade schreiben … Moment … ich drück mal den Türöffner …
Der rote Faden im perforierten Zeitablauf
Sorry – hat doch etwas länger gedauert … ist jetzt eine Stunde später. Das war ein Klavierschüler, mit dem ich gar nicht gerechnet hatte. Seine Stunde hatte ich vom Nachmittag auf 10:00 Uhr Morgens gelegt, weil er heut ne größere Feier hat. Und in 10 Minuten geht’s auch gleich weiter mit ner Gesangstunde. Ja, aber genau so isses eben. Cool bleiben und immer schon aufmerksam auf die nächste Welle aufspringen. Natürlich ohne Widerstand gegen das, was da gerade reinrauscht. Dann gelingt es auch in nem völlig perforierten Zeitablauf, den ich vorher gar nicht absehen und überschauen kann, den roten Faden nicht zu verlieren. Ich hätte auch völlig ausflippen können, weil ich mir ja was vorgenommen hatte, das dann mit einem »Dingdong« abrupt in die Hose ging.
»Dingdong!« … es geht weiter … also bis später … mal sehn, was noch alles dazwischen kommt. Soll wohl ein Test werden, wenn ich schon darüber schreibe, wie ich so meinen Tag meistere. Also immer schön wach bleiben, Tang.
Now that I found You
… Das tat gut … wirklich aus voller Kehle gesungen und dazu Klavier gespielt! Nach ein paar Rockschnulzen von Michael Bolton, bei denen ich mich immer schön auspowern kann, hatte ich gerade meiner Schülerin Katja von meinem lustigen Zeit-Löcherkäse-Schreibvorhaben erzählt und ohne hinzuschauen zum zum nächsten Lied vorgeblättert. Da stand dann unvermittelt dieser Text vor mir:
Now that I found You
© 1991 Words and music by Michael Bolton and Diane Warren
»I can still remeber, when all I had was time
– time when I had nothing, but this empty heart of mine –
– When I needed inspiration, and the night was all I knew …«
Ja, und dann geht’s im Text allerdings ganz banal weiter: Mann trifft Frau, die den Inspirationsjob für ihn übernimmt und künftig das Licht für den Künstler spielt und … wie sollte es anders sein … ohne die er dann nicht mehr leben kann … uaahhh! Aber ich musste natürlich sofort an alte Einsamer-Single-Wolf-Zeiten zurückdenken, als ich wirklich ne Menge Musik geschrieben habe. Im Grunde sind in diesen Worten ja zwei gute Voraussetzungen für kreatives Schaffen beschrieben: genügend freie Zeit und der leere Raum, in den sich die Inspiration entfalten kann. Heute sieht das für mich natürlich ganz anders aus. Aber die kreative Leere, das weiße Blatt Papier, auf dem ein neues Bild gemalt werden kann – dieser Freiraum existiert immer in uns, selbst wenn da draußen der Bär tobt. Das ist im Zusammenleben mit den Kindern für mich heute die Herausforderung: Bewusst diese Möglichkeit zur Entfaltung wahrzunehmen, die von keiner äußeren Bedingung abhängt. Hingabe an jeden Augenblick – dann wir der Alltag zur Meditation!
… und jetzt aber ratzfatz auf’s Rad und ab in den Waldkindergarten, Ray abholen. Naja, alles, was ich mir für heute vorgenommen hatte, wird wohl nicht klappen, aber ich lass mich gerne überraschen. Mal sehn, was am Ende wirklich noch offen ist.
Einen Woche später …
Na Bravo … die Unterbrechung hat tatsächlich ne ganze Woche gedauert und jetzt weiß ich wirklich nicht mehr so richtig, wie ich wieder in Fluss komme. Vielleicht sollte ich mal kurz ein paar Takte Klavier spielen …
… 10 Minuten Improvisation über eine altes Osacar Peterson Stück – ja, das hat wirklich gut getan. …
Vielleicht fang ich einfach mal damit an, was mich gerade inspiriert. Ich lese nämlich gerade Die zwölfte Prophezeiung von Celestine von James Redfield und schwimme dabei auf so ner angenehmen Erinnerungswelle, die noch aus den Tagen stammt, als ich vor vielleicht 15 Jahren zum ersten Mal die Prophezeiungen von Celestine las und damals auf tiefe Weise berührt war. Es war für mich ein echtes »Aha-Erlebnis«, da mir dieses Buch einige persönlich Erfahrungen, die mir bis zu jenem Zeitpunkt teilweise beängstigend vorkamen – wie Synchronizitäten, Intuition oder Energiewahrnehmungen etc. – nunmehr Schwarz auf Weiß vor meinen eigenen Augen präsentierte. Ich hatte Blut geleckt und war begeistert.
Sychronizität
Zum Verständnis eine kurze Erklärung von Sychronizität, wie sie C.G.Jung geprägt hat: »Bedeutungsvolle Ereignisse, die scheinbar zufällig und akausal, aber sinnfällig auftreten und uns oft in Entscheidungssituationen bewusst werden.« Beispiel: Der alte Freund, der nach 10 Jahren plötzlich anruft, nachdem man gerade an ihn gedacht hat. Laut Jung handelt es sich bei diesem Synchronizitätsprinzip um die »psychisch bedingte Relativität von Zeit und Raum«.
Seit ich das neue Buch von Redfield lese, achte ich etwas mehr als sonst, wie ständig die passenden Ereignisse und Begegnungen in mein Leben fließen. Und wenn ich nicht versuche, das mit meinem Verstand zu kontrollieren, sondern mich einfach treiben lasse, dann läuft das wirklich traumwandlerisch ab. Mit »treiben lassen« meine ich nicht handlungslos zu sein, sondern eher aufmerksam und gleichzeitig absichtslos.
Zen-Meister
So lebe ich ja im Grunde die meiste Zeit mit meinen Kindern zusammen. Es gibt da natürlich klare Terminvorgaben wie Schule, Kindergarten, und Arbeitszeiten. Gleichzeitig versuche ich aber möglichst ohne zuviel Zielvorstellungen durch den Tag zu gehen. Genaue Vorstellungen, wie es laufen soll, werden bei nächster Gelegenheit durch die Jungs abgeschossen. Sie sind dann wie alte Zen-Meister, die mir mit dem Stock auf den Rücken schlagen, damit ich aufwache und wieder zentriert bin. Ich merke das besonders in Extremsituationen, bei denen eine totale Dichte von Dingen auftritt, die ich jetzt möglichst alle gleichzeitig bewältigen soll. Die einzige Wahl die bleibt: Ausflippen oder Durchgehen. Ausflippen kann ich schon gut – jahrelang geübt. Widerstandslos durchgehn klappt aber immer besser. Wie? Ich ignoriere die Zeit und den Druck der sich dadurch aufbaut so gut es geht. Denn die Kinder merken ganz genau, wenn ich auf die Uhr schau und innerlich am Rad dreh und … werden dann ganz fies immer l…a…n…g…s…a…m…e…r.
»Ray, es geht gleich loo…oos, wir müssen zum Kindergarten!«, ruf ich ins Kinderzimmer. Keinen Antwortet. »Hast Du mich gehört?« Keine Antwort – denn Ray spiel ganz versunken mit seinen Dinos. »Kannst Du mitspielen, Tang? Ich bin ein Queenosaurus und Du ein Prananatiopranasaurus, okay?« – »Sorry, aber das geht jetzt schlecht, denn wir wollen doch pünktlich im Wald sein.« (Tang, was redest Du da von »Wir« – ist ja wohl voll gelogen!) »Ich meine, ich möchte schon recht pünktlich zum Morgenkreis dort sein, Ray.« (Schon besser ausgedrückt, Tang) Ich ziehe Ray ohne ihn aus dem Spiel zur reißen mit akrobatischen Verrenkungen Hose und Strümpfe an und hüpfe dann selbst in meine Klamotten. Als ich fertig bin, ist Sohnemann dann ebenfalls bereit zu gehen, und wir kommen tatsächlich recht passend und ohne große Pulsbeschleunigung meinerseits im Wald an. Das war nicht immer so! Ich hab da etliche Varianten ausprobiert, doch der Schlüssel für einen entspannten Ablauf liegt nie bei den Kids, sondern in meiner inneren Haltung. Ich hab zwar klar ein Ziel auf dem Schirm, muss es aber nicht um jeden Preis erreichen.
Zeitsklaven
Natürlich hab ich so meine Probleme, den meisten Mamas im Waldkindergarten zu erklären, dass man kleinen Kindern doch nicht unbedingt die Zeitsklavenkette, die uns Erwachsenen selbst soviel Stress bereitet, nun ebenfalls anlegen muss. Die Mädels haben natürlich wie fast alle von uns über Pünktlichkeit klare westliche Konzepte in der Blutbahn und wollen daher alle pünktlich um 9:00 ihre Kids abgeben. Ist ja durchaus verständlich – aber es ändert sich dadurch auch nichts wirklich. »Die müssen das lernen!« und »Das muss rechtzeitig eingeübt werden – Rituale sind wichtig!« und vieles mehr aus diesem Erziehungs-Nähkästchen kommt mir da mit voller Überzeugung entgegen – nicht von allen glücklicherweise. Also lass ich’s lieber, übe mich gelegentlich in bürgerlichem Ungehorsam und komme entspannt zu spät. Es geht dabei ja auch nicht um respektloses Zuspätkommen oder Verabredungsbrüche, sondern um ein entspanntes Verhalten in Bezug auf die engen Zeitkorsagen, die wir uns ja selbst geschneidert haben.
So, jetzt ist wieder mal kurz vor 13:00 Uhr und ich rausche wieder ab, Kinder einsammeln aus Kiga und Schule. Gekocht hab ich noch nichts, aber dafür drei Takte Klavier gespielt und schön was getippt. Mal sehn, wann es weitergeht. Bis später …
Rasensprinkler und nasse Unterhose
… Cool … irgendwie hat heute außer auf ein paar Snacks keiner Hunger, und es ist hier gerade alles völlig chillig. Da kann ich mich doch glatt mal davonstehlen und noch ein bisschen weiterschreiben. Das, was ich gerade vorhin erlebt habe, passt gut zu Thema und muss gleich hier rein – könnt mich immer noch kaputt lachen:
Vor ner halben Stunde etwa war ich in der Schule und hielt auf dem Glände nach Joy Ausschau. Da kam er auf einmal ganz freudenstrahlend aus dem Gebüsch – von Kopf bis Fuß völlig durchnässt von einem Rasensprinkler, der die furztrockene Schulwiese und meinen Sohn zu neuem Wachstum anregen durfte. Ich wusste nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. Lieber Lachen! Auf jeden Fall war es Joy im Gegensatz zu mir bei 30 Grad im Schatten bestimmt angenehm kühl. Also Kofferraum auf, Joy auf den Rand gestellt und raus aus den Klamotten. Dann ein Handtuch auf den Beifahrersitz und den Kerl in der nassen und sicher angenehm kühlen Unterhose obendrauf. Ich hab dann noch mit Freude ein paar übrig gebliebenen Pausenbrote aufgefuttert und dann gings ab nach Hause.
Mmh … im Grunde brauche ich das Thema jetzt gar nicht mehr ellenlang zu vertiefen. Die Message ist draußen – glaube ich – und so kann es weitergehen im Abenteuer Alltag.
Traumwandler mit Papa-Mental-Trainern
So wie ein Traumwandler ohne Angst durch die Nacht tappt und nicht auf die Nase fällt – so schreite, hoppele, tanze oder krieche ich manchmal auf allen Vieren durchs Leben und wundere mich des Öfteren in der Nachbetrachtung, wie ich mal wieder durch den ein oder anderen Sturm ohne Schiffbruch hindurchgesegelt bin. Deshalb ein dreifach donnerndes Helau und Hurra auf meine nimmermüden Mitbewohner und Papa-Mental-Trainer, die mich jeden Tag, nein jeden Moment mit ihnen zusammen daran erinnern, wie einfach sich das Leben gestaltet, wenn meine Aufmerksamkeit im Jetzt verweilt. Das ist wie eine rettende Insel, auf die ich jederzeit zurückschwimmen kann, wenn mich mein Verstand mal wieder in Zwergenaufstände und Stürme im Wasserglas verstricken will.
Foto: Imagination of a Lucid Dreamer © H. Kopp-Delaney | flickr.com
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Tang, du bist einfach genial.. wie ein Superjongleur… ich hab riesen Respekt vor deinem „act“. Ja, und wenn man überhaupt „richtig“ und „falsch“ als Kategorien einführen möchte: ich hab das Gefühl, du machst das einzig Richtige: mit dem Leben fließen. Heute bedaure ich am meisten, meine mittlerweile erwachsenen Kinder und mich mit Zeit- und anderen schönen Konzepten an den Rand des Nervenzusammenbruchs – und gelegentlich darüber hinaus – gebracht zu haben. Ich bin aber mitnichten sicher, dass ich es heute besser könnte..oder so wie du. Jeder gibt sein Bestes..zum jeweiligen Zeitpunkt. Du schilderst das großartig!
Hallo Tang, nur ganz kurz, ich habe keine Zeit 😉
Ich habe bereits vieles gelernt. Erlebnisse nachträglich so zu betrachten ergibt bei mir ein identisches Bild. Im Jetzt zu leben ist für mich eine riesen Aufgabe und insofern vielen Dank für die inspirierende Anleitung, ich hoffe sie schafft es dauerhaft die männliche Logik in den „Winterschlaf“ zu schicken.
Lieber Tang,
ich möchte mich herzlich bedanken für Deine Unterstützung. Die Lektorin hatte die Seite fürs Buch bereits in Deutsch fertiggestellt und dann kam vorgestern Dein Text, den sie noch einmal genommen und ihre Seite deshalb noch einmal umgestaltet hatte. Ich wollte es gerade in den Druck schicken, als mein Blick auf Deinen Namen fiel. Jetzt hat mein Buch etwas aus deiner Essenz und wenn immer ich es aufschlagen werde, werden meine Gedanken mit einem freudigen DANKE zu Dir fließen. Bemerkenswert auch deshalb, weil ich gerade eine Woche Überblick über Deinen Alltag erlesen habe und dieses Geschenk der Zeit, welches Du für mich gegeben hast, doppelt kostbar ist. Vielleicht hat Du eine Idee, für einen Ausgleich??
Freue mich über unsern Kontakt – Anna
Hallo Tang, ich freue mich auch immer über die Inspirationen von Dir. Spätestens mit meinem zweiten Sohn habe ich gemerkt, dass ich mich mit dem ganzen Zeitdruck vollkommen verrückt mache und die Kinder um so mehr austickern, je mehr Druck sie spüren. Da ich von innersten Herzen ein Pünktlichkeitsfanatiker war, habe ich mir als neue Marschrichtung den Gedanken zurechtgelegt, dass ich nicht immer pünktlich, sondern immer zur rechten Zeit komme. Oft hetze ich mich nämlich ab, um dann als erste und einzige pünktlich im Besprechungsraum zu sitzen. Leider gelingt es mir noch nicht regelmäßig, aus meinem „Ich muss pünktlich sein“ Muster herauszukommen, aber ich fühle mich jetzt wieder sehr dazu ermutigt, meine armen Kinder – und vor allem mich selber – nicht ständig damit zu quälen.
Viele Grüße, Dörte
@ Anna – Ich freu mich, dass ich Dir mit Deinem Buch in letzter Sekunde noch etwas helfen konnte 🙂 Mit Geschenken kenn ich mich aus Anna – mein Leben ist reich davon! Daher mach Dir mal keinen Kopf. Echtes Schenken ist wie echte Liebe – sie fordert nichts und kennt keine Bedingungen. Es gibt nichts auszugleichen wo es keinen Mangel gibt. Aber ich will damit natürlich auf keinen Fall die Freude am Schenken schmälern! Die würde ich mir nie nehmen lassen, und kann dazu nur jeden anregen. Aus vollem Herzen schenken können wir allerdings nur das, wovon wir genug haben.
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@ Dörte – Super, das mit dem »zur rechten Zeit kommen« merk ich mir! Ich lebe das zwar meistens, aber die Formulierung dazu gefällt mir, vor allem Kritikern gegenüber. Pünktlichkeit im heutigen Sinne ist ja nicht gottgegeben, sondern ein Produkt der postindustriellen Gesellschaft mit Fahrplänen, Stechuhren und vielem mehr. Wir Erwachsenen dürfen als Teil unseres sozialen Handelns natürlich respektvoll sehr wohl die verschiedenen Zeitgefühle unserer Mitmenschen achten, die in verschiedenen Kulturkreisen allerdings völlig verschieden sein können.