H.W.L. Poonja, von sein Anhängern liebevoll »Papaji« genannt, war und ist bis heute einer der im Westen einflussreichsten indischen Vertreter der non-dualistischen Lehre (advaita vedanta). Damit ist er wohl auch – ohne das dies groß an die Glocke gehängt wird – der Namenspatron von Puppetji, meinem kleinen Muppet-Bruder 🙂
Da ich diese provokante Bemerkung zur Meditation vor kurzem bei Facebook als »Geistesblitz« ohne jede Zusatzinformation gepostet habe, will ich hier versuchen, mit eigenen Worten sowie Zitaten Poonjas Haltung zur Mediation ein wenig zu erläutern, wie sie u.a. in dem Buch Wake up and Roar – Wach auf – Du bist frei! zu erfahren ist. Seine Worte sind kompromisslos, und stellen Konzepte, Traditionen und Methoden radikal in Frage. Ich persönlich mag das, möchte hier aber auch erläutern, was Meditation bedeutet und ob sie uns im Alltag behilflich sein kann.
Wach auf – Du bist frei!
»Der Verstand – unser Denker – (engl.: mind) lässt sich durch Übung vielleicht ruhig halten. Es bedarf Konzentration, und Konzentration muss geübt werden. Aber es ist die Frage, ob Du deinen Verstand durch Übungen lediglich ruhig hältst, oder ob Du ihn für immer zerstörst. Das letztere ist für Freiheit absolut notwendig. Er wird sich nicht selbst auflösen! Solange du übst, wird er lediglich – wenn du Glück hast – für eine gewisse Zeit die Klappe halten.
Wenn es aber keinen Verstand, kein Denken gibt – dann besteht Freiheit. Konzentration wird auf der ganzen Welt geübt, aber im Grunde ohne Ergebnis. Konzentration auf ein Objekt, wie auf dem Atem oder Körper, wird mit einiger Anstrengung vollbracht. Zwischen dem Beobachter und dem Objekt der Beobachtung wird also Anstrengung gebracht. Freiheit aber ist dort wo Anstrengungslosigkeit ist. Wenn der Geist nicht arbeitet (engl.: no-mind) und zu einem natürlichen Zustand von Ruhe und Frieden zurückkehrt, bist Du wirklich frei. Und das ist alles andere als anstrengend.«
Was ist Meditation?
Was gibt uns das Online-Lexikon Wikipedia denn zu lesen? »Meditation (von lateinisch meditatio, abgeleitet von dem Verb meditari „nachdenken, nachsinnen, überlegen“, verwandt mit lateinisch mederi „heilen“, medicina „Heilkunst“ sowie griechisch μέδομαι bzw. μήδομαι „denken, sinnen“ und dem Namen Medeia) ist eine in vielen Religionen und Kulturen ausgeübte spirituelle Praxis. Durch Achtsamkeits- oder Konzentrationsübungen soll sich der Geist beruhigen und sammeln. In östlichen Kulturen gilt sie als eine grundlegende und zentrale bewusstseinserweiternde Übung. Die angestrebten Bewusstseinszustände werden, je nach Tradition, unterschiedlich und oft mit Begriffen wie Stille, Leere, Panorama-Bewusstsein, Eins-Sein, im Hier und Jetzt sein oder frei von Gedanken sein beschrieben.«
Ein schönes Zitat zur Unterscheidung von Mediation und Denken stammt von Emile Cioran: Die verfehlte Schöpfung, 1949 – »Meditieren heißt, in eine Idee aufgehen und sich darin verlieren, während Denken heißt, von einer Idee zur anderen hupfen, sich in der Quantität tummeln, Nichtigkeiten anhäufen, Begriff auf Begriff, Ziel auf Ziel verfolgen. Meditieren und Denken, das sind zwei divergierende, unvereinbare Tätigkeiten.«
Hier wird es erneut deutlich: Meditieren ist in allen Traditionen mit zumindest anfänglichem Denken und einer gewissen Konzentration verknüpft. Nicht ohne Grund sprechen wir von Mediationstechniken – vom Verstand ausgedachte Methoden, ihn selbst zum Anhalten zu bringen. Wie aber soll der Verstand uns je vom Denken befreien? Poonjajis radikale Antwort und Überlegung erscheint mir da völlig naheliegend.
Methoden, Denken und No-Mind
Bei Wikipdia steht noch was zu Papaji: »Poonja kritisierte, dass die Suche nach Erleuchtung gleichzeitig ihr größtes Hindernis sei, da sie vom Ego getragen sei, und jede Bemühung, in dieser Suche zur Erfüllung zu gelangen, das Ego stärken würde. Der Titel einer Dokumentation über ihn, Call off the Search (z. dt. ‚Gib die Suche auf‘), kann als Motto seiner Lehre angesehen werden.«
Das kann ich aus meiner Erfahrung nur unterschreiben. Meditation wird eben oft als Methode oder Technik für diese Suche nach Erleuchtung eingesetzt. Hinter Vorgehensweisen und Methoden steckt aber immer der Gedanke, dass es da etwas zu erreichen gäbe, was uns am Ende unserer Anstrengung wie eine Art Belohnung erwartet. Was wäre aber, wenn das Angestrebte schon direkt vor unserer Nase oder besser gesagt hinter unserer Nase – nämlich in uns selbst – läge? Dann wäre alles Abmühen völlig überflüssig.
Nun, manchmal möchten wir uns vielleicht ein wenig schinden, um erst zu erfahren, dass es auch einfacher geht. Ich selbst bin durchaus so ein Kandidat. Aber ich bin auch ein bequemer Hund, und für Mediation hatte ich in meinem Leben schlichtweg keine Zeit. Während meiner aktiven Musikerzeit habe ich fast jede frei Minute vor dem Klavier verbracht – da saß ich schließlich direkt an der kreativen Quelle, ohne das ich das damals kapiert hätte – Glück gehabt. Als alleinerziehender Papa – und auch schon vorher – habe ich heute wiederum recht wenig Zeit für Meditation im üblichen Sinne. Die Kids bringen mich entweder richtig zum Durchdrehn – oder im schönsten Fall – zur Hingabe an den Augenblick. Da aber gibt es streng genommen keine Zeit. Keine Zeit – kein Problem! Ich hüpfe dann wie ein Tanguruh von Moment zu Moment und komm nicht zum Nachdenken – der perfekte No-Mind Zustand. Das ist genau der Zustand, in dem kleine Kinder ständig leben – vielleicht sind sie deshalb so oft am Lachen und die meiste Zeit glücklich und zufrieden.
Ich nenne das zwar gerne »Alltag als Meditation«, aber streng genommen ist das einfach absichtsloses Eintauchen ins Jetzt. Kein Suchen, kein Machen – gar nix! Und dann merk ich auf einmal: »Hoppla, ne Weile nix gedacht und innerlich getextet – nur geschaut, gehört, Geschirr gespült, ohne irgendetwas zu benennen – cool!« Aber keine Angst, spätestens wenn ich das cool finde, ist es flottitooti wieder da – das geliebtgehasste Egobaby und will mir sogleich erklären, wie ich’s künftig richtiger und besser machen soll :).
Was kann uns Meditation wirklich schenken?
Ja, der besagte Dackel mit dem Wackelschwanz, unseren ewig plappernden Verstand und seine Gedanken macht uns oft schwer zu schaffen. Meditation kann dennoch – für alle, die sich die Zeit nehmen wollen und können – ein paar wertvolle Lichtblicke schenken mitten im Nebel des Alltagstrubels. Das geschieht oft aber erst nach einiger Übung und Anstrengung.
1. Ich bin nicht mein Verstand – mein Dackel – denn wenn da kein anderer ist, wer sollte dann den Schwanz festhalten, oder?
2. Wenn ich das also nicht bin, wer bin ich dann? – Eine gemeine Frage, die uns der Dackel aber nicht beantworten wird und auch nicht kann.
3. Meditation … ahh … so fühlt es sich also an, wenn es still im Kopf ist.
Hab ich was Wichtiges vergessen? Schon möglich, aber das spielt hier keine Rolle. Es ist prima, dass Dich Meditation in eine wunderbare und heilsame Identitätskrise führen kann. Die Identifikation mit Körper und Verstand wird erlebbar in Frage gestellt. Das Denken kann anhalten, und wir erfahren an Leib und Seele, wie wohltuend und heilend innerer Frieden und Stille für uns ist. Ist die besinnliche Zeit allerdings zu Ende, dann nimmt das Gedankenkarussell meist wieder Fahrt auf. Manchmal sogar mit erhöhter Geschwindigkeit, als ob der Kopf die verpasste Zeit wieder aufholen wollte.
Was aber, wenn uns das Schwanzgewackel echt auf die Nerven geht und wir dank Meditation nun endlich wissen, wie angenehm und ruhig es sich »ohne« anfühlt – welche Möglichkeiten bleiben uns dann? Vielleicht den Hundeschwanz festtackern und unseren Körper 365 Tage in Meditationshaltung dauerfrosten. Oder den Dackel totschießen – denn es gibt ja durchaus die Möglichkeit, völlig ohne Dackel bzw. Verstand durchs Leben zu laufen. Das fände Papaji sicher klasse.
Möglicherweise kannst Du ja damit anfangen, das Schwanzgezappel bzw. Kopfgebabbel zu ignorieren. Wie? Mich darauf konzentrieren nicht zuzuhören etwa? Nee, das geht so nicht. Dann soll ja der Denker den Denker abschalten – und das ist paradox. Aber einfach mal Klappe halten und mit Hingabe das tun, was vor Deiner Nase liegt. Leg Dich nicht mit jedem Gedanken an. Gedanken sind wie die Menschenmenge im Hauptbahnhof. Wenn Du Deinen Zug erwischen willst, solltest Du Dich nicht mit jedem rumstreiten, der Dir im Weg steht. Schlängele Dich elegant durch die Menge und behalte das Gleis im Auge, auf der Dein Zug abfahren soll.
Ich selbst habe mich für die zweite Variante entschieden. Das Ignorieren bzw. Gleichgültigsein gegenüber den drängelnden Gedanken gelingt besonders gut, wenn ich die Welt mit Kinderaugen betrachte. Schönheitsstrahlen und Sinnlichkeit töten Gedanken, denn sie schießen uns ins Jetzt. Das ist der gedankenfreie Raum – »No-Mind« -, in dem unser Leben ständig stattfindet, ohne das wir das meist bemerken. Das ganz normale Leben, der Alltag bietet alles, was für ein bewusstes, erfülltes und glückliches Dasein nötig ist. Keine besondere Technik, Methode oder Konzentration wird dafür gebraucht. Das sind allenfalls Helferlein zur Erkenntnis, dass sie überflüssig sind. Im schlimmsten Fall allerdings auch Krücken, die wir nicht mehr loslassen wollen, obwohl der Gips längst ab ist.
Mediation im Alltag – Alltag als Meditation
Fazit: Für all die genannten Erkenntnisse brauche ich nicht unbedingt Mediation im üblichen Sinne. Aber sie kann durchaus für viele ein Türöffner sein. »Mediation im Alltag« ist völlig natürlich und unangestreng, Sie gelingt durch bewusstes Wachsein – nicht durch Konzentration.
Und genau dazu gibt es einen Artikel von mir Mediation im Alltag – Alltag als Meditation, der im September 2007 als Titelstory der Zeitschrift »Lebensträume« erschienen ist. Genau den habe ich jetzt als Re-Publishing hier auf die Website unter Worte eingestellt. Und nicht zu vergessen: Meister Puppetjis ultimative Meditationserfahrung in seinem Videoclip Puppetji – Meditation. Viel Vergnügen damit!
Fotos: Meditation © H. Kopp-Delaney | flickr.com
H. W. L. Poonja – Papaji (1910-1997) | avadhuta.com
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Das sind wichtige und richtige „Gedanken über das Nichtdenken“ – und dieses Paradox deutet bereits auf meinen einzigen Kritikpunkt hin: Mir missfällt zutiefst die Vorstellung, dass man den Verstand zerstören müsse, um frei zu sein. Ohne Verstand hätten wir heute gar keine Muße, uns mit diesen Dingen zu befassen – wir wären den ganzen Tag nur mit Überleben beschäftigt. Wir genießen diesen Luxus, weil Menschen jahrtausendelang ihren Verstand für das gebraucht haben, wofür er gut ist, nämlich das Lösen praktischer Aufgaben. Es geht also nicht darum, den Verstand zu zerstören, sondern ihn zurück auf seinen Posten zu schicken, wo er gerne auch mal schlafen darf, wenn es nichts für ihn zu tun gibt.
@ Jörg – das sehe ich ganz ähnlich, aber Lehrern wie Papaji geht es nun mal um die Auflösung des Egos durch das kompromisslose Hinterfragen der Struktur, die dieses »Ich« wie einen Luftballon aufbläst und aufrechterhält – den Verstand -, und die uns in die Identifikation mit diesem Werkzeug drängt. Ich mag Eckhart Tolles Haltung dazu: Ist die Identifikation aufgehoben, kann das Werkzeug bewusst für praktische Dinge benutzt werden. Geschieht dies nicht, dann benutzt mich das Werkzeug ganz nebenbei für seine Zwecke. Dabei benimmt es sich dann noch wie eines dieser »Tamagotchis« aus den 90ern , die ihrem Besitzer keine Ruhe ließen und ständig gefüttert und betüttelt werden wollten.
Das Problem ist ja nicht der Hammer, sondern dass da niemand ist, der ihn bewusst in die Hand nimmt, mit einem Schlag den Nagel in der Wand versenkt und dann zurück in den Werkzeugkasten legt. Bei den meisten von uns aber hämmert das Ding munter weiter, haut an anderer Stelle Beulen und Löcher in die Wohnung und redet uns noch ein, das die eben dazugehören – zum Leben.
Da tut es mir persönlich ganz gut, wenn jemand wie Papaji mit seiner spitzen Nadel einfach mal in diesen fetten Ego-Ballon hineinsticht und die Illusion auf seine provokante und radikale Art platzen lässt.
Ja, die Zeit von Training, Übung, Anstrengung scheint endgültig vorbei zu sein, eben weil immer mehr Menschen die Egofalle bemerken. Wo Meditation nicht zu einer grundlegenden Persönlichkeitsumwandlung führt, ist sie nichts anderes als eine Art Flucht und Beruhigungsform für das Ich. Meines Erachtens führt auch dieses Massenmeditieren für den Weltfrieden zu gar nichts, solange ich meinen sog. Schatten noch nicht integriert habe.
Mit den Gedanken ist es so, dass es auch hier Qualität und Quantität gibt. In meiner Erfahrung gelange ich zur Qualität, indem ich alle Gedanken, die auftauchen, zulasse, bis der brain stormt und qualmt (quantitav-linear), dann lasse ich los, und plötzlich steigt die Qualität, welche ich als vertikal-intuitive Erkenntnis bezeichnen will, aus der Tiefe in mein Bewusstsein und zwar als ein Gedanke! Bei den bisherigen Meditationsformen, die grundsätzlich das Denken verteufeln, wird wie so oft, das Kind mal wieder mit dem Bade ausgeschüttet.
Meditation denke ich, ist gut für vielbeschäftigte Menschen. In meinem Fall ist es so, dass ich ein sehr ruhiges, unabgelenktes Leben aus meiner Natur heraus lebte, sehr, sehr langsam. Im Rückblick gesehen, war dies schon „Meditation“, allerdings ohne Absicht.
Im Rückblick gesehen ist alles so einfach! Aber ich glaube, dass es wohl so sein muss, dass man ein paar mal um den Globus wandern muss, um schlussendlich die Wahrheit just next door zu finden.
(Übrigens spricht unser mucho beloved Puppetji auch aus der Retrospektive!!!)
Ich habe zweimal in meinem Leben versucht zu meditieren, und zweimal bin ich nach wenigen Minuten in einem „altered conciousness-Zustand“ gelandet. Das hat mir Angst gemacht, und daher tat ich nichts, ausser das zu „üben“, was man wohl Achtsamkeit nennt. Ohne Absicht, irgendetwas zu erreichen. Ich war mein eigenes Laboratorium und wurde von nichts anderem angetrieben, als von dem Wunsch, nicht dumm sterben zu müssen und von der Frage, was zum Teufel hier vorgeht…
Vor ein paar Monaten meinte ich, es wäre Zeit, Achtsamkeit zu üben, kaufte mir ein Buch dazu von Charles Tart, las kurz darin und plötzlich gingen mir die Augen auf, dass ich genau das mache und zwar schon seit 30 Jahren etwa. Mann, Mann, Mann…!
Irgendwie scheint es mir mit der Meditation und allem Machen des Egos in Richtung Erleuchtung so zu sein, als ob man einem Kind das Laufen beibringen wolle!
Erleuchtung ist nur ein 11-Letter-Word für mich, die berühmte Karotte. Das Wort sollte verboten werden, weil es zu viel verspricht…
Die Zeit des Machens ist vorbei, die Zeit der Hingabe ist angebrochen, so sehe ich das. Aus der Hingabe erfolgt alles andere wie von selbst. Ohne Übung.
Lieber Tang, ich hab Dich und einige andere aus meiner Facebookliste ausgesperrt, ein Fehler, wie mir mein Meister sagte heute morgen. Er meinte, ich hätte keinerlei Bedingungen zu stellen, egal, wer mich anklickt, ich muss in Zukunft jeden annehmen, der an meine Tür klopft, Allerdings dürfe ich jeden rausschmeissen, den ich selbst gewählt habe – hahahahaaaaa! In dem Sinne komm ich gleich noch mal vorbei bei Dir, o.k.?
Helau, GrüssGott und Namaste!