»Prima, das hast gut gemacht, mein Kind!« – »Pfui, lass das liegen – das ist Bäbä!« – »Das ist schön – das ist hässlich.« – »Das ist gut – das ist böse« usw. Unsere Alltagssprache drückt unsere Beziehung zu den Dingen und Erlebnissen auf unterschiedlichste Weise aus. Ganz richtig, es ist unsere ganz persönliche innere Beziehung, die hier in Worte gefasst wird – nicht mehr und nicht weniger. Aber kommt das auch so beim Gegenüber an – vor allem, wenn es Kinder sind? Je nach Wortwahl geben wir dem anderen entweder die Chance zur eigenen Wahrnehmung und Wahrheit oder auch nicht. »Das ist schön« ist nicht identisch mit »das finde ich schön«! Im ersten Fall ist es ein göttliches Urteil ohne Wenn und Aber. Der zweite Satz nennt dagegen den Betrachter und seine persönliches Empfinden.

Aber mal ganz ehrlich – ist das nicht Wortklauberei und leicht spitzfindig? Vielleicht schon, aber ich glaube, dass gerade im Kindesalter unsere erwachsene Ausdrucksweise zusammen mit den damit verbundenen Gefühlen einen bedeutenden Einfluss auf die Wahrnehmung der Kleinen nimmt und ihr künftiges Weltbild mitgestaltet.

Was sagt die Psychologie?

Über die psychologische Wirkungsweise von Lob und Tadel gibt es bereits interessante Untersuchungen. Einiges davon kann man hier nachlesen: www.umsetzungsberatung.de

Da geht es unter anderem um positive und negative Verstärkung – um Bedürfnisbefriedigung, um Bestrafung und vieles mehr. Ich möchte in diesem Artikel aber genau darauf nicht eingehen, sondern einen anderen Ansatz verfolgen, denn all diese Untersuchungen gehen davon aus, dass es da eine Persönlichkeit gibt, die sich all diese Einflüsse mehr oder weniger zu Herzen nimmt und sich damit identifiziert. Das hat zu Folge, dass dieser Mensch sein Selbstwertgefühl an diesen äußeren Beurteilungen festmacht und wenn mal nichts von außen kommt, dann hat jeder ja noch seinen inneren Scharfrichter, den er jahrelang trainiert hat. Daher sind diese Themen auch so beliebt bei Motivationlehrern und in Führungstrainings. Wer sich mit allen möglichen Persönlichkeits-Dekorationen identifiziert, der ist auch gut über diese zu lenken und zu manipulieren – die Trainer eingeschlossen.

Mama’s und Papa’s Weltsicht

Nun aber noch einmal zurück zu der Zeit, in der alles anfängt – die Kindheit. Es gibt da so ein Päckchen auf dem geschrieben steht: »Mama’s und Papa’s Weltsicht«, das wir unseren Kindern in die Wiege legen, und welches in vollstem Vertrauen als gut und richtig angenommen wird. Vieles von dem, was schon in unserer eigenen Wiege lag, geben wir auch an unsere Kinder weiter, ohne es je hinterfragt zu haben. Im Päckchen enthalten sind unter anderem Vorlieben und Abneigungen, Vorstellungen und Maßstäbe, nach denen wir so ziemlich alles um uns herum bewerten, beurteilen und einordnen. Wir leben es vor und die Kleinen machen es nach. Auf der einen Seite sicherte diese Nachahmungsfähigkeit und unsere unglaubliche Flexibilität über Jahrtausende das Überleben unserer Spezies und war sicher mitverantwortlich für unsere Dominanz auf diesem Planeten. Auf der andern Seite zementieren wir aber mit diesen ständig wiederkehrenden Verhaltenskopien auch den Status Quo. Diesen erleben wir tagtäglich und die wenigsten von uns sind mit dem Ergebnis so richtig zufrieden. Und so bejammern und kritisieren wir genauso wiederkehrend die schrecklichen Zustände in der Gesellschaft und auf der Welt. Um diesen Kreislauf zu durchbrechen, möchte ich hier gerne ein paar Fragezeichen aussähen und schauen ob sie keimfähig sind.

Es beginnt in frühester Kindheit

Es hat mich vor Kurzem wirklich fasziniert, in einer Studie nachzulesen, wie sich bei Säuglingen und Kleinkindern beispielsweise Geschmackspräferenzen herausbilden. Wie sich auf die rein körperlichen Sinneseindrücke von Geruch und Geschmack andere Faktoren hinzuaddieren und mitbestimmen, was für uns »lecker« oder »bäbä« ist. Dazu gehören die Essgewohnheiten der Mutter während der Schwangerschaft und Stillzeit und später die Nahrungsvorlieben der Eltern, Geschwister und des näheren Umfelds. Das haben tausende von Eltern sicher auch ohne Doktorarbeit einfach beobachten können.

Was hat das aber nun mit »Lob und Tadel« zu tun? Ganz einfach:
Auf die gleiche Weise, wie wir uns den Geschmack unserer Eltern zu Eigen machen, tun wir das auch mit ihren Vorstellungen und Urteilen. Das ist das oben genannte Päckchen aus der Wiege, das wir dann munter mit uns rumschleppen. Ob uns dieses Präsent im Leben belastet oder nicht, hängt von seinem Inhalt ab und wie lange wir damit zögern es auszupacken und anzuschauen.

Urteile und Bewertungen – bin ich toll oder blöd?

Wie sieht das zum Beispiel mit den persönlichen Urteilen aus, die wir uns ständig gegenseitig verpassen? »Schatz, Du bist wirklich toll! Wie Du das wieder hingezaubert hast! – Du Blödmann, Du stellst Dich einfach zu dumm an. Wie oft muss man Dir das noch zeigen! – Du bist ein Genie! Ohne Dich hätte ich das nie hinbekommen. – Hör lieber auf mit dem Gesinge. Du bist einfach unmusikalisch!«

Je nach Bedeutung, die wir dem Urteiler geben, werden dessen Bewertungen mehr oder weniger zu dem addiert, was wir Persönlichkeit nennen. Ich bin dies, ich bin das, und das ist erstmal richtig so! Wir können uns natürlich irgendwann im Leben mit spirituellen Lehrern treffen, die uns dabei helfen, diese Persönlichkeit als Illusion zu entlarven und in Frage zu stellen. Aber braucht es wirklich all die schmerzlichen Erfahrungen, die wir mit unserem Ego machen dürfen, um das zu erkennen? Zu bezweifeln, ob ich wirklich die Person bin, die ich jeden Tag im Spiegel rasiere – das fällt nach 30 Jahren Bartwuchs schon ziemlich schwer, wenn ich es nie anders gelernt habe.

Stress, Angst und Kampfhormone

Eine meiner Klavier- und Gesangsschülerinnen durfte vor Kurzem – und mir ging es in meiner Schulzeit nicht anders – echten Prüfungsstress erfahren. Gut vorbereitet hatte sie auf einer unbewussten Ebene ihre persönliche Zukunft mit dem Ausgang der Prüfung verknüpft. Damit hatte sie der Prüfungsangst die Tür geöffnet und war alles andere als locker. Der Körper gibt uns dann die passenden Kampfhormone, die uns zwar in die Lage versetzen mit einem Tiger zu kämpfen, aber nicht um mit einer Prüfungskommission fertig zu werden. Zumal dieser Hormoncocktail auch noch unser Gedächtnis bis zum Blackout blockieren kann. Das gleiche Szenario kenne ich als Künstler beim Lampenfieber. Eine gewisse Aufregung vor dem Auftritt kann mich durchaus ankurbeln. Zuviel davon aber kann bis zum Nervenzusammenbruch führen.

Für mich sind das unter anderem die Ergebnisse einer jahrelangen Identifikation mit dem, was wir unsere Persönlichkeit nennen. Sie flattert wie ein Fähnlein im Wind flattert, und reagiert überempfindlich auf jedes Lob oder Kritik. Wir spüren dann eine starke Abhängigkeit von Bewertung, die schon zur Sucht werden kann nur damit unser Ego etwas Neues zu Anziehen hat. Das hört sich dann etwa so an: »Und, wie war ich heute? – Bin ich dafür gut genug? – Oh Mann, ich bin echt eine schusselige Kuh – oder etwa nicht? … etc.«

Was aber können wir da ändern – für uns selbst und unsere Kinder?

Foto: © B.M.Tang

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Series NavigationLob und Tadel – 2. Sei vorsichtig mit Bewertungen


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4 Responses to Lob und Tadel – 1. Die Weltsicht der Eltern

  1. Jana sagt:

    Lieber Tang,

    danke für Deine offen gelegten Gedanken und Erscheinungen des Alltags, auf die Du uns aufmerksam machst. Interessant dabei: Auch Anton Korduan (Seelennahrung) schreibt gerade zum gleichen Thema seine Gedanken, Erlebnisse und Recherchen auf und veröffentlicht sie. Ein schöner »Zufall« 😮
    Ich bin ja mal gespannt, in welche Richtung Deinen Überlegungen und Erkenntnisse gehen. Ich selbst frage mich auch gerade, welche unbewussten Muster gerade eine Rolle in meinem Leben spielen, die eher übernommen als selbstgemacht sind. Die Innenschau passt zur Jahreszeit: Rückzug, Einkehr, Sortieren, Ausräumen von Altem, Überholtem, …
    Ich wünsche Dir weiterhin beste Erkenntnisse und noch bessere Klarheit für Deinen weiteren Weg.

    Alles Liebe, Jana

  2. Ewa sagt:

    Lieber Tang,

    deine Ansicht über Lob und Tadel interessieren mich. Seit längerem weiß ich von meiner Yoga Lehrerin, dass im Lob der Tadel drin steckt, aber sie hat keine Kinder. Wie setzt du es bei deinen Buben um?

    Liebe Grüße, Ewa

  3. Norman sagt:

    Lieber Tang,

    wieder mal so ein Thema, wo man hunderte von Büchern zu schreiben könnte 😉

    Zunächst einmal: Ich denke nicht, dass all das, was wir da so an »Irrtümern« in uns haben, wirklich zu 100% von unseren Eltern übernommen wurde. Ganz einfach, weil niemand als »unbeschriebenes Blatt« auf die Welt kommt. Das kommt daher, dass es unvorstellbar ist, nach dem Tod des Körpers nicht mehr – als bewusst wahrnehmende und empfindende Wesenheit – zu existieren. Also kann es auch nicht sein, dass man vor seiner Geburt/Zeugung nicht existiert hat. Also bringen wir alle schon was mit uns hierher. Ich denke sogar eher noch, dass wir uns unsere Eltern als »Helfer« aussuchen, um uns diese Resonanzen oder »Dissonanzen« mit der »All-Einheit« – welch ein herrlicher Widerspruch! 😉 – in uns so perfekt wie möglich zu zeigen und natürlich auch uns das »Starterpaket« zu übergeben, womit wir die bestmöglichen Erkenntnischancen haben. Denn unser Ziel beinhaltet mit Sicherheit auch, an diesen Irrtümern zu lernen, indem wir sie liebevoll und achtsam erkennen und auflösen. Das würde zwar für den Verstand eine ziemliche Sysyphos-Aufgabe darstellen – oder wie der Typ mit dem Stein auf’m Berg sich schreibt -, weil ständig 100%ige Aufmerksamkeit auf eigene Gedanken gefordert wäre, aber deshalb haben wir ja unser Herz, um uns dabei zu helfen. Wie das geht, können wir von kleinen Kindern, von Tieren, von der Natur lernen – oder auch einfach selbst in uns als unseren Urzustand entdecken. Dabei erkennt man auch immer mehr, wer und was man selbst eigentlich in Wirklichkeit ist (kein leichter Weg! Ich habe mir dadurch geholfen, dass ich mich dazu entschlossen – also geöffnet – habe, dass ich das LICHT und die LIEBE bin, und alles andere zwar auch mal war, aber nicht mehr zu sein brauche). Diese »De-Identifikation« wird dann zu einer wahrhaft spannenden Entdeckungsreise! 🙂

    Natürlich gibt es da auch immer wieder unsere lieben noch unerlösten Helfer-Energien wie Stress oder Angst. Wobei ich schon die Einteilung in das wissenschaftliche Weltbild als Hormone, Endorphine, und was es da noch so für Viecher geben soll, als unnötige Verkomplizierung sehe, weil man am besten mit diesen Energien umgehen kann, indem man sie als das nimmt was sie sind, und das erkennt man daran am besten, wie sie sich anfühlen. Diese Energien sind aber letztendlich aus der »un-polaren« Sichtweise, aus der unser innerster Wesenskern entspringt, nur Potenziale, welche »auf-ge-liebt« werden wollen. Die Größe, die ein jeder Mensch dadurch erreichen kann, vermag ich bei mir kaum ansatzweise zu erahnen, so unvorstellbar ist sie. Und jeder Mensch ist in Wahrheit so groß, denn gemäß dem Spiel der Polarität, was wir hier alle noch so lustig mitspielen, bedeutet der tiefste Fall das Potenzial zum höchsten Aufstieg und umgekehrt. In sofern darf ich bei mir auch noch eine Menge »LICHTen«, bis ich meinen Eltern wahrhaft für das dankbar sein kann, was sie für mich da getan haben, indem sie mich in diese »dunkle« Welt der Vorlieben und Abneigungen so großartig hineingeführt haben, aber das dürfte ja ebenfalls fast jedem so gehen.

    Soweit erstmal ein paar Gedanken von mir dazu. Auch wenn ich gespannt bin auf die Antworten hierauf, so mag ich mich nicht mehr gerne in Diskussionen mit Menschen verstricken, die meinen dass ich »nicht recht habe«, denn sie haben mit ihrer Sichtweise ja ebenso recht, nur halt auf ihr eigenes Leben und Sein bezogen.

    Alles LIEBE – im wahrsten Sinne des Wortes 😉 – Norm@n

  4. karen sagt:

    Lob und Tadel hängen auch immer von meinen eigenen Launen ab. Und deshalb habe ich Marly gesagt – und das tue ich immer wieder -, dass ich sie liebe so wie sie ist, auch wenn ich mich manchmal über ihr Verhalten ärgere. Egal was ich in stressigen oder ärgerlichen Momenten auch sage – ich liebe sie immer und bin für sie da und ganz tief in meinem Herzen mit ihr verbunden. Das ist für mich das Wichtigste. Ein guter Artikel, der sehr zum Nachdenken anregt. Lob darf nicht abhängig machen oder arrogant. Es sollte eher förderlich sein für eine gute Entwicklung zu einem selbstbestimmten und klaren Geist und einem liebevollen Menschen.

    Liebe Grüsse – Karen

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